Interview mit Hermino Katzenstein

Hermino, Du bist jetzt seit fast 5 Jahren Landtagsabgeordneter. Was sind die wichtigsten Erfolge, die Du in dieser Funktion erreicht hast?

Ein Großteil meiner Arbeit findet in Stuttgart im Landtag statt. Ich bin in der grünen Fraktion Vorsitzender des Arbeitskreises Verkehr. Ich vertrete daher die Fraktion gegenüber der CDU, Verbänden und dem Verkehrsministerium. So kann ich auch für den Rhein-Neckar-Raum einen gewissen Einfluss geltend machen.
Im Frühjahr kommt endlich die Radspur auf der B37 zwischen Neckargemünd und Heidelberg. Von den vier Autospuren wird eine dem Radverkehr zur Verfügung gestellt. Meine Idee war es, das als „Verkehrsversuch“ durchzuführen. Da muss das Bundesministerium nur noch informiert werden. Landesverkehrsminister Winne Herrmann hat den Vorschlag begeistert unterstützt. Ich bin also der Geburtshelfer dieser Radspur.
Stolz bin ich auch auf die Neugestaltung des Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes: Da ist es in harten Verhandlungen mit der CDU gelungen, den Anteil der Mittel für den ÖPNV, für Rad- und Fußverkehr deutlich zu erhöhen. Dafür gibt es jetzt 60% der zur Verfügung stehenden 320 Millionen Euro jährlich, nur noch 40% gehen in den Straßenbau. Projekte, die der Barrierefreiheit dienen oder besonders klimafreundliche Maßnahmen werden sogar mit 85% gefördert. Da kann keine Kommune mehr sagen, dass sie sich das nicht leisten könne.
In der Region gab es gerade einen schönen Erfolg bei der ehemaligen Synagoge in Neidenstein. Dort soll ein Begegnungszentrum entstehen, das die alte jüdische Kultur wieder sichtbar macht. Ich habe mehrfach mit Ministerin Theresia Bauer gesprochen und tatsächlich bekam die dortige Initiative jetzt einen Förderbescheid über beträchtliche 91.000 €.

Als Mitglied im Petitionsausschuss bist Du mit Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern befasst. Was kann man in dieser Funktion erreichen?

Ein Beispiel von vielen: Von Brombach, einem Ortsteil von Eberbach gibt es eine Verbindungsstraße nach Heddesbach, die komplett geschlossen werden sollte. Ich habe einen großen Ortstermin gemacht und es ist gelungen, dass die Straße doch erhalten wird. Viele Petitionen gibt es auch zum Ausländerrecht. Da haben wir es manchmal erreicht, dass Geflüchtete zumindest zeitweilig hierbleiben können.

Bei dieser Wahl geht es ja im Wesentlichen darum, ob Winfried Kretschmann weiter Ministerpräsident bleibt. Er ist jetzt seit zehn Jahren in diesem Amt, was hat sich in dieser Zeit im Land positiv verändert?

Baden-Württemberg ist weltoffener, ökologischer und sozialer geworden. Wir waren eines der ersten Länder mit einem Klimaschutzgesetz. Wir haben den Anteil an erneuerbaren Energien erheblich ausgebaut. Wir haben den Nationalpark Schwarzwald und ein weiteres Biosphärengebiet im Südschwarzwald eingerichtet. Wir haben mit den Gemeinschaftsschulen das Bildungswesen moderner und gerechter gemacht. Im Verkehrsbereich haben wir den öffentlichen Verkehr mit dem bwtarif deutlich attraktiver gemacht und den Radverkehr gefördert. Überall im Land sind Radschnellwege in der Planung, mit der Verbindung Heidelberg – Mannheim auch hier in der Region. Und im Gefolge des Bürgerbegehrens „Rettet die Biene“ verbannen wir Pestizide ab 2022 aus Naturschutzgebieten und bringen den Biolandbau massiv voran.

Den CDU-Abgeordneten Albrecht Schütte habe ich bei einer Windkraft-Veranstaltung erlebt, wo er sich frontal gegen Windenergie gewandt hat. Kann man mit der CDU gemeinsam das Klima retten?

Kollege Schütte hat sich auch explizit für neue Atomkraftwerke ausgesprochen!
Wir haben gesehen: Retten kann man mit den CDUlern das Klima nur, wenn die Bevölkerung sehr hohen Druck macht. Vor allem im Verkehrsbereich, weil die CDU von ihrer Auto- und Straßen-Zentriertheit nicht runterkommt. Mit ihnen konkrete Minderungsziele zu vereinbaren war ein unglaublich langwieriger Prozess.

Angesichts der Herausforderungen klingen vereinbarten 42% CO2-Minderung aber nicht sehr ambitioniert.

Das ist sicherlich zu wenig. Mehr war leider mit der CDU nicht drin. Da muss die Regierung nach dieser Wahl deutlich nachschärfen. Dazu müssen wir die Energie-, Agrar- und Verkehrswende beschleunigen. Die CDU stand dem Ausbau der Windenergie permanent im Weg. Ähnlich bei der Photovoltaik. Wir wollen, dass PV-Anlagen auch für neue Wohngebäude zur Pflicht werden. Ich hoffe sehr, dass dies nach der Wahl angegangen werden kann.

In unserem Interview vor fünf Jahren hast Du gehofft, dass in der Schulpolitik zusätzliche Gemeinschafts- und Ganztagsschulen mehr Bildungsgerechtigkeit bringen.

Wir haben es geschafft, dass jetzt einige Gemeinschaftsschulen im Land das neunjährige Abitur anbieten. Auch bei der Ganztagsbetreuung wünschen wir uns mehr Einsatz. Denn sie hilft, endlich die große Ungerechtigkeit, dass der Bildungserfolg zu sehr vom Elternhaus abhängt, deutlich zu verringern. Es ist sehr ärgerlich, dass die CDU da nicht mitgemacht hat.

Wie siehst Du die Rolle von Kultusministerin Eisenmann (CDU) bei der Bekämpfung von Corona in den Schulen?

Die Schulen sind im Umgang mit der Pandemie sehr alleingelassen worden. Es gab keinen klaren Umgang mit dem Hybridunterricht. Frau Eisenmann hat sich da immer nur dagegen gewandt. Und lange vorhandene Schwächen in der Ausstattung der Schulen wurden mit der Pandemie sichtbarer, etwa die mangelhafte Ausstattung der Schulen, um überhaupt erfolgreich online unterrichten zu können.

Was hat denn Neckargemünd davon, dass du hier als Landtagsabgeordneter im Gemeinderat sitzt?

Es ist für mich ganz wichtig, dass ich als Stadtrat direkt mitbekomme, wo eine typische Kommune der Schuh drückt. Ich unterstütze gerne alle Kommunen im Wahlkreis, wenn sie Wünsche an die Landesregierung haben oder Unterstützung brauchen. Der Neckargemünder Bürgermeister ist trotz mehrfacher Angebote von mir da leider sehr zurückhaltend. Andere Gemeinden kontaktieren mich sehr häufig. Gerade bei Verkehrsthemen, die ja die Menschen oft am sehr direkt betreffen, kann ich oft vermitteln.

Was für konkrete Projekt hast du für die nächsten fünf Jahre warum sollen dich die Leute wählen?

Ich hoffe sehr, dass wir mit Ministerpräsident Kretschmann weiter die Regierung führen werden und mit Winne Hermann weiterhin den Verkehrsminister stellen. Ich werde mich sehr dafür einsetzen, dass wir den Radweg auf der B37 nach Heidelberg auf Dauer behalten. Auch die geplanten Radwege auf der anderen Neckarseite nach Ziegelhausen und an der B 45 nach Bammental müssen nun bald kommen. Und vielleicht schaffen wir es, dass bei der Krebsbachtalbahn bald der Lückenschluss zwischen Obergimpern und Babstadt vollendet wird. Ich werde mich dafür stark machen, dass wir bei den erneuerbaren Energien endlich Tempo reinbringen. Ich will mehr Photovoltaik und auch Windkraft sehen. Ein Windrad am Lammerskopf z.B. kann ich mir gut vorstellen.

Ich wünsche mir, dass die Synagoge in Neidenstein bald auch wirklich Begegnungszentrum ist. Ich werde mich für noch mehr Gemeinschaftsschulen einsetzen, auch solche, an denen man das Abitur machen kann. Und dringend sollten wir zusammen mit Eltern, Kollegium und Schulträgern auch viel mehr Ganztagsschulen einrichten. Schulen sollten einen Gehschulwegplan und einen Radschulwegplan entwickeln. Im aktuellen Grünen Wahlprogramm wurde das auf meine Anregung aufgenommen.

Du bearbeitest viele Verkehrsthemen. Wie bist Du denn selber unterwegs?

In der Regel gelingt es mir, mich im Wahlkreis weitgehend autofrei zu bewegen. Seit einigen Jahren haben wir kein eigenes Auto mehr. Meist fahre ich mit Bus und Bahn und nehme zusätzlich mein Pedelec mit. Wenn es gar nicht anders geht, dann nutze ich Carsharing. Wenn wir die Abhängigkeit vom Auto auf dem Land verringern wollen, führt an einem besseren ÖPNV kein Weg vorbei.

Du warst ja früher Personalratsvorsitzender der Heidelberger Uni. Hat die grün-schwarze Landesregierung auch in sozialer Hinsicht Verbesserungen gebracht?

Mir ist sehr wichtig: Kein Kind soll in Armut aufwachsen! Denn gerade die Kleinsten sind den Verhältnissen, in denen sie leben ausgeliefert, ohne selbst etwas ändern zu können und ihre finanzielle Lage hat zu oft zu schwerwiegende Folgen, bei der Gesundheit oder auch beim Bildungserfolg – das ist in Baden-Württemberg noch ein viel zu großes Problem.
Wir wollen insbesondere die Kinderarmut bekämpfen. In Baden-Württemberg konnte, seit die Grünen die Regierung anführen, die Förderung für den sozialen Wohnungsbau verfünffacht werden. Die Ausgabe für Kleinkinderbetreuung wurden gar verzehnfacht. 1200 Integrationsmanager/innen kümmern sich heute um das Zusammenleben unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Wir sind bei diesen Themen weit gekommen, seit wir 2011 nach Jahrzehnten der CDU-Vorherrschaft die Führung der Landesregierung übernommen haben.

Wie hat sich denn der Umgang mit Geflüchteten in unserer Region in den letzten Jahren verändert?

Die Zahl der neu ankommenden Menschen ist deutlich runtergegangen, jetzt geht es vor allem darum, ob und wie die Menschen hier dauerhaft bleiben können. Das Land hat zunächst massiv bei der Unterbringung unterstützt. Mit dem Pakt für Integration wurde diese Förderung fortgesetzt, und fördert Integrationsmanagement, Sprachkurse und Schulsozialarbeit in Geflüchtetenklassen. Ich habe mich in Fällen, in denen Beschäftigte von Abschiebung bedroht waren des Öfteren in Stuttgart für diese Menschen eingesetzt und in manchen Fällen auch Abschiebungen verhindern können.

Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass sich im Pflegebereich einiges ändern muss.

Ich habe im Frühjahr in den ersten Corona-Phase zu fast allen Pflegeheimen im Wahlkreis Kontakt aufgenommen. Ende des Sommers habe ich bei einer Handvoll Pflegeheime hospitiert. Die aktuelle Situation macht mir wirklich Sorgen, aber die Heimleitungen machen alle einen tollen Job und fühlen sich inzwischen im Großen und Ganzen durch das Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises gut betreut. Und mit den Impfungen ist ja Licht am Horizont.
Die finanzielle Belastung für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen ist hoch und damit auch das Risiko der Altersarmut. Wir setzen uns daher auf Bundesebene dafür ein, die Kosten für die Bewohner zu deckeln. Und wir wollen die Pflege zu Hause stärken und Angebote für pflegende Familienangehörige ausbauen. Mit dem Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz haben wir in Baden-Württemberg neue Maßstäbe gesetzt, um ein selbstbestimmtes Leben bis ins hohe Alter zu ermöglichen.

Die Wirtschaft steht ja auch durch die Klimakrise vor extremen Veränderungen, wie wird hier im Rhein-Neckar-Kreis damit umgegangen?

In vielen Ortschaften ist ja ein Problem, dass kleine Läden zumachen und die Versorgung vor Ort immer schwieriger wird. Da gibt es wirklich kreative Projekte, z.B. die Marktfee-App, die im Bereich Meckesheim läuft. Da können sich Kund*innen in Geschäften oder per Handy Sachen bestellen. Mit solchen Projekten kann oft die Versorgung am Ort gesichert werden und es sind weniger Fahrten mit dem Auto nötig – was gut fürs Klima ist.
Sehr gut ist auch das EU-Förderprogramm LEADER, mit dem im ländlichen Raum Projekte gestützt und gefördert werden. Die Marktscheune in Meckesheim ist eines der Vorzeigeprojekte. Dort wurde eine Scheune zu einem Laden mit frischem Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln umgebaut und aus der ehemaligen Tenne ein wunderschönes Café gemacht.
Ich habe mich im letzten Jahr auch intensiv für die Reisebranche eingesetzt, sowohl den Busunternehmen als auch den Reisebüros ist Corona-bedingt das Geschäft nahezu komplett weggebrochen. Für die Reisbusunternehmen gibt es im Land einen Corona-Rettungsschirm in Höhe von 40 Mio. €.

Das Interview führte Rolf Gramm.

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